Foto: Maren Schlenker

Arbeitgeberattraktivität

Ausländische Pflegekräfte – wie hält man die nur?  

Es nützt nichts zu hoffen, dass „es irgendwie schon klappt“. Erfolgreich sind nur die Heime und Krankenhäuser, die genau überlegen, was sie tun können, damit ausländische Pflegekräfte sich bei ihnen wohlfühlen. 8 Tipps von Praktikern, Beratern und Pflegewissenschaftlern 

Wenn es um die Akquise von Pflegenden aus dem Ausland geht, winkt mancher ab: Da werde ein Riesenaufwand betrieben, viel Geld ausgegeben und am Ende blieben von zehn akquirierten Pflegefachpersonen gerade einmal zwei oder drei langfristig in Deutschland. Welch miesepetriger Blick auf die Dinge! Leider entspricht er in weiten Teilen der Realität, ganz allmählich jedoch beginnt sich die Situation zu ändern.

Als Träger von Krankenhäusern und Altenpflege-Einrichtungen vor etwa zehn Jahren begannen, ausländische Pflegefachpersonen anzuwerben, richteten sie ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Akquise und den formalen Integrationsprozess: Wie spricht man ausländische Fachkräfte in ihrem Heimatland an? Wie klappt es möglichst schnell mit der Anerkennung und den Deutschkenntnissen?

Inzwischen hat sich aber gezeigt, dass über den Erfolg einer Akquise vor allem die weichen Faktoren entscheiden. Zugewanderte Fachkräfte, die sich nicht wirklich willkommen fühlen, sind schnell wieder weg, vor allem, wenn es attraktive Angebote aus anderen Ländern gibt. Ein unwohles Gefühl kann sich schnell einstellen: leichte Ungeduld der Kollegen nach zweimaligem Nachfragen, Team-Gespräche, denen man nicht folgen kann, respektlose Patienten, Bewohner oder Angehörige, zu viele allein verbrachte Abende. Klinik- und Altenpflegeträger beginnen darauf zu reagieren: Sie organisieren die Integration systematisch  und überlassen sie nicht mehr dem Zufall.

Wir haben uns bei denen umgehört, die bereits viel Erfahrung mit internationalen Teams gesammelt haben, und die wichtigsten Ratschläge zusammengefasst.

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1. Tipp: Team vorbereiten

Es reicht nicht, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schlicht mitzuteilen, dass sie bald durch Fachkräfte aus dem Ausland unterstützt werden. „Bei manchen gibt es durchaus Ängste, dass zugewanderte Fachkräfte beispielsweise zu einem niedrigeren Lohn arbeiten und Arbeitsplätze wegnehmen – oder, dass die Neuen nicht wirklich effizient arbeiten und sie deren Defizite kompensieren müssen“, sagt Melanie Schwarzbach, examinierte Kinderkrankenpflegerin und systemische Therapeutin bei dem Dienstleister Amesol aus Hamburg, der bei der Gewinnung und Integration ausländischer Pflegefachpersonen unterstützt.

Die Einrichtungsleitung kann solchen Vorbehalten vorbeugen, indem sie vorab umfassend informiert: etwa über

  • die Arbeitsmarktsituation etwa, die diesen Schritt nötig macht
  • ihr Konzept für die Integration der neuen Kollegen
  • die Dienstplanung – sie kann den Teams konkret zusagen, dass die neuen Kollegen nicht gleich im Stellenplan erscheinen und die Leitung bei der Dienstplanung berücksichtigt, dass die Einarbeitung Zeit braucht.

Manche Einrichtungen organisieren extra Veranstaltungen oder Coachings, andere informieren in Teamsitzungen und Übergaben über die Pläne. Welchen Weg die Einrichtung auch wählt: Wichtig ist, dass sie Verständnis für die Situation der neuen Kollegen weckt. „Wir schulen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in der Kommunikation mit den neu ankommenden Pflegekräften: klare, leicht verständliche Hauptsätze bilden, Füllworte weglassen; vorher zu überlegen, was man sagen möchte, sich mit Rückfragen zu vergewissern und so weiter“, sagt der stellvertretende Pflegedirektor des Diakonissen-Stiftungs-Krankenhauses Speyer, Simon Jäger.

Einen weiteren Aspekt, der unbedingt ins Informationspaket gehört, nennt Christoph Becker, der die Schule für Pflegeberufe am Bildungscampus Koblenz leitet: „Es ist ganz wichtig, dass Bestandskräfte sprachliche nicht mit pflegefachlichen oder sogar intellektuellen Defiziten gleichsetzen. Anderenfalls geraten die Neuen schnell ins Abseits.“

2. Tipp: Integrationsbeauftragte ernennen

Sie heißen Integrationsbeauftragte oder -koordinatoren, manche, wie die Stiftung kreuznacher diakonie, nennen sie Integrations-Coaches. Welchen Begriff die Einrichtung auch wählt: Wichtig ist, dass es für zugewanderten Kollegen einen festen Ansprechpartner gibt, der sie bei allen Fragen im Alltag begleitet. „Unsere Integrationsbeauftragte Julia Benz betreut jede einzelne ausländische Fachkraft in der Anerkennungsphase individuell, teilt sie währenddessen den Stationen zu, besucht sie dort regelmäßig, erhält bei Schwierigkeiten Rückmeldung von der Stationsleitung“, sagt Simon Jäger. Integrationsbeauftragte helfen auch bei der Wohnungssuche und organisatorischen und bürokratischen Fragen. Weil das für ein oder zwei Mitarbeiter schnell zu viel werden kann, gibt es außerdem oft noch Tutoren oder Mentoren im Haus, die während ihrer Arbeitszeit die neuen Kollegen unterstützen.

Idealerweise agieren die Koordinatoren auch als Vertrauensperson. „Denn die zugewanderten Kollegen brauchen häufig einen ethisch-kulturellen Kompass, der ihnen sagt, was in dem ihnen fremden Land geht und was nicht“, sagt Christoph Becker. Die Koordinatoren können die Neuen auch dazu ermuntern, Fragen zu stellen oder einen für sie erträglichen Weg zu finden, Konflikte anzusprechen. Vertrauenspersonen müssen nicht zwingend die Koordinatoren sein. Die Rolle ergibt sich oft im Laufe des Alltags, sie kann auch einer Mentorin oder einem Tutor zufallen. Auch die Schule kann einen solchen „geschützten Raum“ anbieten, wie Christoph Becker es ausdrückt. „Bewährt haben sich im schulischen Rahmen sogenannte Fallbeschreibungen, in denen Auszubildende persönlich belastende Situationen schildern; auf dieser Grundlage erhalten sie dann konkrete Beratung und Unterstützung.“

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3. Tipp: ehrenamtliche Willkommenslotsen anheuern

Kontakt zu Einheimischen jenseits der Arbeit wirkt gegen Heimweh, gewährt einen guten Einblick in die Gepflogenheiten der neuen Heimat und bietet reichlich Sprachpraxis. Die Caritas Rhein-Erft bindet deshalb gern ehrenamtliche Willkommenslotsen ein, die den zugewanderten Pflegenden auf Ausflüge, ins Theater oder Kino nehmen. „Das hat sich für die ersten sechs Monate sehr bewährt, manchmal sind dabei auch richtige Freundschaften entstanden“, sagt Projektleiter Tarik Bajja, der kürzlich zusammen mit der Leiterin der Caritas Pflegeschule Rhein-Erft fünf junge Marokkaner für die Pflegeausbildung gewinnen konnte. Die Caritas bereitet alle Willkommenslotsen mit einer interkulturellen Schulung vor.

4. Tipp: aufmerksame Kollegen

Auch wenn viele Träger Integrationskoordinatoren, Tutoren, Mentoren und Willkommenslotsen etabliert haben: Nur wenn das Team die neuen Kollegen im Arbeitsalltag unterstützt, können sie sich wirklich wohlfühlen. „In der Einarbeitungsphase bedeutet das zunächst einmal Mehraufwand, unsere Mitarbeitenden wissen aber, dass sich ihr Einsatz lohnt und sie letztlich ja entlastet werden – von gut qualifizierten Kollegen, die fachlich und sprachlich wirklich bei uns angekommen sind“, sagt Simon Jäger aus dem Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus Speyer.

5. Tipp: bei der Dokumentation helfen

Ein wunder Punkt ist allerdings die Pflegedokumentation. Das hat auch Francesco Fontanini so erlebt, der vor sieben Jahren aus Italien ans Westpfalz-Klinikum Kaiserslauternkam: „Die Pflegedokumentation ist für deutsche Kollegen schon schwierig, für einen Ausländer umso mehr. Das fühlt sich – durch das ständige Hin- und Herübersetzen im Kopf – wie doppelte Arbeit an, bis es irgendwann automatisch läuft.“ Simon Jäger empfiehlt den Trägern, die Sprachschulen zu bitten, dieses Thema im Unterricht zu berücksichtigen – ebenso wie die Anamnese, die hauseigenen Standardleitlinien und ein Telefontraining.

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6. Tipp: Tandempartner helfen bei der Einarbeitung 

Da es im Team aber immer Kollegen gibt, die besonderen Spaß daran haben, anderen die Arbeitsabläufe, die Geräte und die oft so ungeliebte Dokumentation zu erklären, sind Tandempartnerschaften eine gute Idee. „Bei uns in Speyer begleiten Tandempartner die neuen Kollegen während der Anpassungsmaßnahme, durchschnittlich sind das sechs Monate. Sie werden geschult und erhalten monatlich eine kleine Bonusauszahlung.

Die zugewanderten Kräfte bilden wiederum neue Kollegen aus dem Ausland aus. Das ist eine positive Dynamik, die im ganzen Haus wirkt“, sagt Simon Jäger.

7. Tipp: richtiges Teambuilding organisieren 

„Teambuilding ist umso wichtiger, je diverser die Teams“, sagt Maya Stagge, Professorin für Gerontologie an der Internationalen Hochschule (IU) in Erfurt. Doch im Pflegeberuf sei es kaum verbreitet. Eine Auseinandersetzung mit kulturellen Unterschieden scheint die Mitarbeiter zu überfordern im ohnehin anstrengenden Arbeitsalltag. Das legt zumindest eine Studie der Gerontologin von 2011 nahe, in der sie 34 Teammitglieder in drei unterschiedlichen Einrichtungen (eines Trägers) zur multikulturellen Zusammenarbeit in Interviews befragt hat. Das Ergebnis in aller Kürze: „Jegliche Diskurse, welche nicht primär arbeitsrelevant sind, werden im Teamgeschehen stark zurückgedrängt. Kultur sei Privatsache – das war der allgemeine Tenor“, so Maya Stagge.

Der Nachteil dieser Haltung: Wenn nur die Arbeit zählt, schwelen Konflikte und bleiben unausgesprochen. So geraten etwa Kollegen, die nicht so gut Deutsch sprechen, leichter ins Abseits: Sie werden verunsichert, arbeiten nicht so gut, wie sie könnten. Maya Stagge: „Ich bin deshalb überzeugt, dass eine bewusste Hinwendung zu den Herausforderungen, die mit Internationalität verbunden sind, das Team leistungsfähiger machen.“

Zum Teambuilding gehören Feste, aber nicht nur der obligatorische Betriebsausflug im Sommer. „Wir haben zum Beispiel den Tag der Pflegenden unter dem Motto Vielfalt gefeiert mit Musik und Essen aus den Herkunftsländern“, sagt Tarik Bajja.

Auch in den Teamsitzungen kommen Speisen aus Marokko und anderen Ländern auf den Tisch. Teamsitzungen in lockerer Atmosphäre wie bei Tarik Bajja seien selten geworden, meint Maya Stagge: „Die wandeln sich immer häufiger zu Dienstbesprechungen. Da geht es nicht mehr um das Miteinander.“ Diese Tendenz hat sich durch die Pandemie noch verstärkt. Die Stiftung kreuznacher diakonie ist dabei, das zu ändern: Sie hat im Sommer 2021 diverse Schritte unternommen, um den Zusammenhalt im Team zu stärken. Dazu gehören etwa wöchentliche Teamsitzungen, in denen Führungskräfte ausdrücklich dazu ermuntern, auch über Stressgefühle und Befürchtungen zu sprechen und sich gegenseitig zu stützen. Jedes Mal wird auch kurz überlegt, ob es Fragen, Wünsche, Bedarfe etc. gibt, die das Team an Krankenhausleitung oder PDL richten möchte.

8. Tipp: Feedback-Gespräche mit allen Beteiligten

Die meisten zugewanderten Pflegefachpersonen müssen noch theoretische oder/und praktische Inhalte nachholen, damit ihre Qualifikation in Deutschland anerkannt wird. Sie durchlaufen sogenannte Anpassungslehrgänge. Sie verbringen also einen Teil ihrer Arbeitszeit in Pflegeschulen, die diese Lehrgänge anbieten. Dirk Schmidt, Pflegedirektor des St. Marien- und St. Annastiftskrankenhauses Ludwigshafen rät dringend zu einer „engen Verzahnung“ mit den Pflegeschulen. „Ich stehe in engem Austausch mit einer Pflegepädagogin bei jeder neuen Bewerbung für einen Anpassungslehrgang. Wir machen uns zunächst gemeinsam ein Bild und entscheiden dann nach verschiedenen Kriterien wie der Sprachkompetenz, ob das für uns funktioniert. Außerdem setzen wir uns monatlich mit der Stationsleitung, dem Praxisanleiter, der Kollegin aus der Pflegeschule und den Lehrgangsteilnehmern zusammen und bewerten die Fortschritte. So sehen wir auch, wo unter Umständen noch nachgebessert werden muss. Häufig geht es dabei um den Spracherwerb und um Hilfen, die hier noch möglich sind, beispielsweise durch zusätzliche Sprachkurse. Bislang ist es uns immer gelungen, die ausländischen Pflegekräfte in die Prüfung zu führen und die Prüfungsgespräche auch erfolgreich durchzuführen.

Info: Top-Länder sind Philippinen und Serbien

Die meisten Pflegefachpersonen, die 2020 in Deutschland ihre Anerkennung erhielten, kamen von den Philippinen (2.900), aus Serbien (2.100), Bosnien und Herzegowina (2.100). Laut Statistischem Bundesamt wurden insgesamt 15.500 Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger deutschlandweit anerkannt. Dazu kamen 800 Anerkennungen in dem neu definierten Berufsfeld Pflegefachfrau und -mann.

Autorin: Kirsten Gaede

Der Artikel ist zuerst im Magazin der Pflegekammer Rheinland-Pfalz erschienen (Ausgabe 29).

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