Foto: jens schuenemann - jps-berlin.de

Grippeimpfung 2020

Arbeitgeber dürfen Pflegekräfte nach Grippeimpfung fragen

Seit 2015 können Träger haftbar gemacht werden, wenn Mitarbeiter Patienten oder Bewohner anstecken. Kein Wunder, dass sie jetzt massiv für die Grippeimpfung werben

Die Ständige Impfkommission (Stiko) am Robert Koch Institut (RKI) wird ungeduldig: Die bisherige Impfquote der Über-60-Jährigen sei „mit 35 Prozent völlig unzureichend“ und habe „in den vergangenen 10 Jahren sogar kontinuierlich abgenommen“, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme der Stiko. Für die kommende Grippesaison peilt die Ständige Impfkommission (Stiko) am Robert Koch Institut (RKI) eine hohe Influenza-Impfquote in den Risikogruppen an, da die Covid-19-Pandemie noch dazu komme. Auch an Ärzte und Pflegekräfte appelliert sie ausdrücklich, sich impfen zu lassen.

Kein höheres Risiko durch Doppelinfektionen mit SARS-CoV-2 und Influenza befürchtet

Eine Ausweitung der Impfempfehlung auf die gesamte Bevölkerung hält die Stiko hingegen für „kontraproduktiv“. Dadurch könnte es zu einer Unterversorgung der Risikogruppen kommen. Auch gebe es bislang keine Hinweise darauf, dass Doppelinfektionen durch SARS-CoV-2 und Influenza-Viren zu schwereren Verlaufsformen bei Nicht-Risikopatienten führe. Auch deshalb lasse sich eine mögliche Durchimpfung der gesamten Bevölkerung auf Basis der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage nicht begründen.

Grippe-Impfung auch noch im Dezember möglich

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Ebenso wenig sehen die Experten in diesem Jahr Gründe dafür, besonders frühzeitig mit der Grippeschutzimpfung zu beginnen. Sie bekräftigen hingegen, dass eine Impfung auch später in der Saison noch sinnvoll sein könne.

Nur 30 Prozent der Pflegekräfte lassen sich gegen Grippe impfen

Für Ältere, chronisch Kranke, Immungeschwächte und Schwangere kann die echte Grippe lebensbedrohlich werden. Deshalb ruft das RKI in Berlin alljährlich zur Grippe-Impfung auf und umwirbt in einem speziellen Flyer besonders das medizinische Personal, das sich selbst, aber auch die Patienten sowie ihr soziales Umfeld dadurch besser schützen soll. Die „Ausbeute“ ist derweil mager: Vor drei Jahren ließen sich laut RKI nur gut 60 Prozent der Ärzte und gut 30 Prozent der Pflegekräfte gegen Grippe impfen lassen. Eine neuere Untersuchung zur Impf-Akzeptanz beim medizinischen Personal liegt laut RKI derzeit nicht vor. Hauptschuld für die Impfmüdigkeit waren laut der Studie von vor drei Jahren fehlendes Vertrauen in Sicherheit und Effektivität der Impfung.

Präventionsgesetz verpflichtet Pflegekräfte theoretisch zur Impfung

Dabei müssten spätestens seit dem Präventionsgesetz von 2015 die Klinik- und Heimleitungen ein hohes Interesse an geimpften Mitarbeitern haben. Seitdem dürfen sie nämlich den Impfstatus ihrer Mitarbeiter erfragen, sind aber auch verpflichtet, gegebenenfalls danach zu handeln. So müssten sie etwa einen nicht-geimpften Mitarbeiter an einen anderen Arbeitsplatz schicken, wo die Patienten oder Bewohner weniger gefährdet sind. Rein theoretisch könnten sich die Einrichtungen sogar strafbar machen, warnt die Deutsche Krankenhausgesellschaft, wenn die Ansteckung eines Patienten durch einen Mitarbeiter eindeutig nachgewiesen würde.

Patienten durch Ansteckung beim Personal an Grippe gestorben?

Genau daran hapert es aber im Fall von Grippeviren. Eine Ansteckung lässt sich nicht so sicher nachweisen wie etwa eine Maserninfektion. Jedenfalls bestreitet Rudolf Trenschel, Stellvertretender Direktor der Klinik für Knochenmarktransplantation an der Uniklinik Essen, immer noch hartnäckig, dass es „nachgewiesen“ sei, dass vier inzwischen verstorbene Patienten sich 2008 nach einer Knochenmarktransplantation in seiner Klinik „nachweislich“ beim Personal mit Grippeviren angesteckt hätten.

Viren vom Personal eingeschleppt? - Umstrittener Fall am UK Essen

Dies wiederum behauptet das Virologen-Ehepaar Hedwig und Michael Roggendorf, das anlässlich besagter Todesfälle eine Umfrage beim Personal des Essener Uniklinikums durchgeführt und drei Jahre später in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ (DMW) das Fazit gezogen hatte: Die vier Patienten starben 2008 „nachweislich an den Folgen einer Influenza, die durch das Personal übertragen wurde“. Für die Roggendorfs steht auch heute noch „außer Frage“, dass das Grippevirus damals „vom Personal eingeschleppt“ wurde. Ein letzter Beweis könne „aus methodischen Gründen“ allerdings nicht gegeben werden, geben sie zu. Dennoch sei „unterm Strich klar, dass das Virus vom Personal kam“, betont Hedwig Roggendorf, die inzwischen die Impfambulanz an der TU München leitet. Alles andere sei „Wortklauberei.“

Eigentlich müssten sie ihre Mitarbeiter zur Grippe-Impfung verpflichten

Der Essener Fall zeigt: Kliniken reagieren heute empfindlicher auf das Thema Impfen. Allerdings fühlen sie sich auch machtlos, wenn es um den Grippeschutz ihres Personals geht. „Indirekt“ sei durch das neue Präventionsgesetz zwar eine Impfpflicht entstanden, aber der Gesetzgeber habe „null“ ausgeführt, wie der Arbeitgeber sie durchführen darf, berichtet eine Krankenhausbetriebsärztin, die anonym bleiben möchte.

Wie Agaplesion, Vivantes & Co. auf die Quasi-Impfpflicht reagieren

Kliniken und Heime befinden sich also in einer Zwickmühle. Das zeigte im September 2019 auch eine Umfrage von pflegen-online. Eine Versetzung von Mitarbeitern aufgrund fehlenden Grippe-Schutzes gab es in keinem der befragten Unternehmen. Mehr als anbieten können die Kliniken die Impfung nicht. Paracelsus bewertete es als „ein beachtliches Ergebnis“ und eine „deutliche Steigerung“ der Teilnahmequote von 2017 auf 2018, dass ein Viertel der Mitarbeiter das betriebseigene Impfangebot genutzt hatte. Agaplesion betonte die „freiwillige soziale Leistung“ der Grippeimpfung, für die Betriebsmediziner, Arbeitsmedizinischer Dienst oder auch direkt die Krankenhäuser zuständig seien. „Bevor die ‚Grippewelle‘ anrollt, werden die Mitarbeitenden über das Angebot der Grippeschutzimpfung informiert.“

Asklepios bewirbt Grippe-Impfung mit Kampagne

Bei Asklepios seien „externe Betriebsärzte“ für den Impfschutz der Mitarbeiter zuständig. Ende September, Anfang Oktober werde die Grippeimpfung jeweils angeboten, die seit 2018 „mit einer Kampagne aktiv beworben“ wird. Bei Vivantes bietet der betriebsärztliche Dienst jedes Jahr im Herbst allen Mitarbeitern die empfohlene Vierfachimpfung an.

Keine Klinik übt wegen der Grippe-Impfung starken Druck aus

Rhön-Klinikum (vor Kurzem von Asklepios übernommen) betonte ebenfalls die Freiwilligkeit der Impfung. Eine Erhebung zum Grippeschutz der Mitarbeiter gab es nicht. Man fordere keine Impfpflicht, sondern unterstütze, kläre auf, bietet sie über den betriebsärztlichen Dienst an. „Da die Grippeschutzimpfung auch Nebenwirkungen haben kann, würden wir in einer Güterabwägung die Überzeugung unserer Mitarbeiter vor eine Impfpflicht stellen“, hieß es aus der Unternehmenskommunikation.

St. Joseph-Stift in Bremen schreibt Mitarbeiter per Mail persönlich an

Bettina Meyer verantwortet den Betriebsärztlichen Dienst am St. Joseph-Stift in Bremen. Das katholische Krankenhaus gehört zur St. Franziskus-Stiftung in Münster. Zur Grippesaison schickt sie regelmäßige Informationen via E-Mail an alle Mitarbeiter, bietet offene Impfsprechstunden zweimal wöchentlich an sowie die Möglichkeit, jederzeit einen Termin zu vereinbaren. Besonders sensible Bereiche erhalten eine gesonderte Ansprache. „Ob Vorgesetzte aktiv bei ihren Mitarbeitern den Impfschutz gegen Grippe abfragen, ist mir nicht bekannt“, sagt Meyer.

Ameos mit „Eichhörnchen-Kampagne“ erfolgreich: 80-prozentige Impfrate

Bei Ameos West (Alfeld, Bremen, Goslar, Hameln, Hildesheim, Holzminden, Petershagen) war Kommunikationschef Gerald Baehnisch stolz, eine „über 50-prozentige Steigerung“ und damit eine rund 80-prozentige Impfrate der Mitarbeiter verkünden zu können. Der Grund dafür war eine neue Marketingkampagne, in deren Mittelpunkt ein Eichhörnchen stand mit dem Slogan „Sei schlau und sorge wie ich vor!“ (siehe Foto ganz unten)

Anlass für die Kampagne sei die starke Grippewelle vom Vorjahr gewesen. „Wir haben die Werbung mit dem Eichhörnchen überall platziert, auch auf den Tischen beim Betriebsfest.“ Sogar eine als Eichhörnchen kostümierte Person sei über die Stationen spaziert und habe für die Impfung geworben. „Das flauschige Tier kam offenbar viel besser an als der erhobene Zeigefinger“, war Baehnisch überzeugt und wertete die Kampagne – wohl zu Recht - als „tollen Erfolg“. Die Aktion soll auch in diesem Jahr fortgeführt werden, betont der Kommunikationschef auf Anfrage.

Klinikum St. Marien Amberg in Bayern lockt mit E-Bike als Hauptgewinn

Mit welchen Aktionen die Krankenhäuser versuchen, ihr Personal zur Grippeschutzimpfung zu bewegen, zeigt auch eine „Ideensammlung“ des RKI:

  • So hat das Klinikum St. Marien Amberg in Bayern eine Tombola für alle impfwilligen Mitarbeiter gestartet, bei dem es 10-Euro-Aufladungen für das interne Chipsystem der Kantine zu gewinnen gab und als Hauptpreis ein neues E-Bike winkte. Ein mobiles Impfmobil wurde zudem an zwei Tagen, an denen es besonders beliebtes Essen gab, vor der Kantine stationiert, so dass entsprechend viel Personal vorbeikam und sich impfen ließ.
  • Im Pfalzklinikum (Bayern), das an 14 Standorten psychiatrische Kliniken und Ambulanzen sowie Tagesstätten für Senioren unterhält, entwarf eine neue Impf-Arbeitsgruppe eine zentrale Kampagne rund um ein Maskottchen, den Pinguin Pik.
  • An den Hamburger Asklepios Kliniken ließ sich zu Beginn der Impfzeit die komplette Geschäftsführung öffentlichkeitswirksam fotografieren. Die Fotos mit Vorbildcharakter wurden als Teil der Kampagne zur Influenza-Impfung genutzt. In der Klinik in Barmbek berichteten zudem zwei vormals Grippeerkrankte, die zum medizinischen Personal gehörten, von ihren Erlebnissen mit den zum Teil schweren Komplikationen. So habe auch eine „Emotionalisierung“ des Themas stattgefunden.

Autorin: Birgitta vom Lehn

Gruppenfoto (unten): Ameos

Der Artikel erschien zuerst am 6. September 2019 und ist am 19. August 2020 aktualisiert worden.

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