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Ein Blitz schlägt in eine Bergwiese ein. Im Hintergrund sind schneebedeckte Berge.

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Arbeiten in der Schweiz: Das ist kein Heidi-Film

Die Schweiz wird gern als Paradies für Pflegekräfte verklärt. Experten warnen jedoch vor überzogenen Erwartungen.

Es klingt verlockend: Arbeiten in der Schweiz. Ein Leben zwischen sattgrünen Almwiesen, tiefblauen Bergseen und glitzernden Gletscherfeldern. Daneben die Bezahlung in stolzen Franken. Und statt tätigkeitsorientierter Funktionspflege soll die Arbeit in der Schweiz mit einem ganzheitlichen, auf den Patienten ausgerichteten Pflegesystem auch noch deutlich angenehmer sein. Das lässt so manche Krankenschwester neiderfüllt und neugierig über die Grenze im Südwesten schielen. Aber stimmt das wirklich, und wie groß ist der Sog ins angeblich so attraktive Heidi-Land tatsächlich?

„Pflegeflucht in die Schweiz? Da wird viel aufgebauscht“

Hört man sich unter Personalberatern um, so scheint nicht allzu viel dran zu sein am Klischee von der Pflegeflucht in die Schweiz. „Da wird viel aufgebauscht“, sagt Matthias Kletzsch von der Firma „Talent Solution“. Pro Woche bekomme er etwa ein bis zwei Anfragen von deutschen Pflegekräften, die sich für eine Arbeit in der Schweiz interessieren. Das sei aber „nur marginal“ im Vergleich zu den 100 bis 150 Vermittlungen, die er Monat für Monat leiste. Zu 95 Prozent vermittle er derzeit philippinische Pflegefachkräfte nach Deutschland, die seien hier „unheimlich beliebt“.

Flache Hierarchien? Eine Legende

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„Eine normal-sterbliche deutsche Krankenschwester überlegt sich schon sehr genau, ob sie in die Schweiz zieht, pendelt oder in Deutschland bleibt. Immerhin lebt hier ja meist ihre Familie.“ Zudem seien die Schweizer Arbeitsbedingungen in den Kliniken nicht besser als die deutschen, behauptet Kletzsch. „Da gibt es keine großen Unterschiede, auch wenn immer wieder anderes behauptet wird. Auch die Hierarchien sind dort nicht flacher als hier.“ Natürlich gebe es eine andere Kultur und einen anderen Verdienst in der Schweiz. Aber ob sich das insgesamt rechne? Das sei oft nicht garantiert und müsse genau bedacht werden.

Honorarkräfte, nein Danke!

Ein weiterer deutscher Personalvermittler, der seinen Namen nicht nennen mag, aber eine renommierte Agentur vertritt, bestätigt die Eindrücke des Kollegen „voll und ganz“. Als Quereinsteiger rekrutiert der junge Politikwissenschaftler seit anderthalb Jahren deutsche Ärzte und Pflegekräfte mit Arbeitsziel Schweiz. „Am Anfang dachte ich noch, das sei ein Selbstläufer: deutsche Pflegekräfte in die Schweiz holen. Das Arbeiten dort ist schließlich ein Traum: 30 Prozent höhere Nettolöhne, mehr Zeit für die Patienten.“

Festangestellte bevorzugt

Aber die Sache entwickelte sich anders als gedacht, denn der Berater hat beobachtet: „Die meisten deutschen Pflegekräfte, die sich für einen Job in der Schweiz interessieren, wollen dort gar nicht hinziehen, sondern höchstens temporär dort arbeiten, also als Grenzgänger täglich pendeln oder zwischen vier Wochen und drei Monaten dortbleiben, nicht aber festangestellt. Sie schätzen ihre Flexibilität und sind es obendrein aus Deutschland gewöhnt, dass ihnen als Honorarkräfte der rote Teppich ausgerollt wird. Aber die Schweizer Kliniken suchen nur Leute in Festanstellung.“ Und wenn sie in der Schweiz dennoch ausnahmsweise als Honorarkräfte akzeptiert werden, bekommen sie dort keine Extras wie Spesen für Fahrt und Unterkunft bezahlt. „Darüber sind viele auch erst mal richtig erstaunt, wenn sie das erfahren.“

Lückenloser Lebenslauf erwünscht

Abschreckend wirken auf viele potentielle Grenzgänger auch die gründlichen Schweizer Behörden. Da komme schon einiges zusammen an zeitlich und finanziell fordernden Formalitäten, sagt der Berater: Bescheinigungen und Beglaubigungen, Strafregisterauszüge, Zeugnisse. Auf lückenlose Lebensläufe legen die Schweizer sehr viel Wert.

Weiterbildung oft nicht anerkannt

Zudem hat der junge Personalberater beobachtet, dass die Schweizer Kliniken bei deutschen Kandidaten deutlich höhere Anforderungen stellen als bei einheimischen: Deutsche Pflegekräfte haben meist nur eine Chance mit einer Zusatzqualifikation, zum Beispiel in Intensivpflege. Hinzu kommt, dass die deutsche Intensivpflegeausbildung dort aber gar nicht akzeptiert wird und in der Schweiz dann noch einmal gemacht werden muss. „Viele Interessenten springen dann doch wieder ab, wenn sie von diesen Umständen erfahren.“

Null Interesse an Integrationskursen

Oder wenden sie sich an „Curaswiss“? Das ist ein Schweizer Unternehmen, das nach eigenen Angaben auswanderwillige deutsche Pflegekräfte „Schritt für Schritt bei der Integration begleitet und mit Leben und Arbeit in der Schweiz vertraut macht“. Das Curaswiss-Programm klingt vielversprechend, zumindest suggeriert es Sicherheit und auch ein Stück weit Bequemlichkeit, denn Hürden werden hier scheinbar problemlos aus dem Weg geräumt. Das Programm sieht einen 12-tägigen „Advanced Course“ auf dem Curaswiss-Campus in Luzern vor, wo das Unternehmen Pflege-Skills, Schweizer Mundart sowie Leben und Arbeiten in der Schweiz vermittelt. Anschließend soll ein dreimonatiges „Traineeprogramm“ in einer Schweizer Pflegeeinrichtung zur „Einarbeitung“ als „Pflegefachperson“ erfolgen.

Auf Nachfrage erklärt allerdings die Curaswiss-Programmmanagerin Deutschland, Christine Naumann, dass das Programm für Deutschland so gut wie eingeschlafen sei. Der Grund: Null Interesse seitens deutscher Pflegekräfte. „Wir hatten im vergangenen Jahr gerade mal zwei Teilnehmer. Offenbar schaffen die meisten es auch ohne uns, in die Schweiz zu gehen.“ Aber auch Naumann hat beobachtet, dass die Schweiz für deutsche Pflegekräfte kein mehr so verlockendes Ziel mehr zu sein scheint: „In Deutschland rollt man ihnen ja vielerorts auch schon den roten Teppich aus, der Mangel ist hier einfach zu groß.“

Latente Deutschfeindlichkeit?

Und wie sieht es mit den Karrierewegen in der Schweiz aus? Zu bedenken sei, so der anonyme Personalberater, dass die Schweizer am Ende immer ihre eigenen Landsleute bevorzugen: bei zwei gleichwertigen Kandidaten für eine Leitungsposition komme erfahrungsgemäß der Eidgenosse zum Zuge. „Eine latente Deutschfeindlichkeit ist leider vorhanden. Dabei ist es fatal: sie finden im eigenen Land nicht mehr genügend Leute, die den Pflegejob machen wollen.“ Entgegen seiner eigentlichen Aufgabe, Fachkräfte für Schweizer Kliniken zu rekrutieren, rät der Berater deshalb inzwischen auch schon mal Interessenten von ihrem Vorhaben ab, in die Schweiz zu gehen: Kandidat und vermeintliches Wunschland passen halt nicht unbedingt immer zueinander.

Info: Voraussetzungen für die Arbeit in der Schweiz

Wer in der Schweiz als Pflegefachkraft arbeiten möchte, muss eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen:

  • mindestens dreijährige Ausbildung
  • mindestens zwei Jahre Praxiserfahrung und Zusatzausbildungen (etwa Intensivpflege)
  • lückenloser Lebenslauf mit sämtlichen Arbeitszeugnissen und/oder Bestätigungen
  • ein vom Schweizer Roten Kreuz (SRK) anerkanntes Diplom, kann noch beantragt werden
  • Deutschkenntnisse fließend und verhandlungssicher in Wort und Schrift

Autorin: Birgitta vom Lehn

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