Zwei Jahre – solange kann es dauern, bis Pflegefachkräfte aus dem Ausland ihren Berufsabschluss anerkannt bekommen. Das kann natürlich mit Sprachkenntnissen zusammenhängen, die es noch aufzuholen gilt, seltener damit, dass sich die Ausbildung aus dem Herkunftsland qualitativ nicht an die in Deutschland heranreicht. Der wohl häufigste Grund ist, dass in vielen Bundesländern die Anerkennungsstellen unterbesetzt sind, teilweise sogar extrem unterbesetzt, sagt Robert Mittelstädt, Anerkennungsexperte für Pflegeberufe beim Berliner Bildungsträger Lingoda und Co-Initiator von Match.
Hinzu kommt: Wenn die Anerkennungsstellen den Antrag prüfen, stellen sie häufig fest, dass es bei Inhalt und Ausbildungszeiten Unterschiede zwischen dem ausländischen und dem deutschen Berufsabschluss gibt. Die Antragsteller erhalten dann einen Feststellungs- oder Defizitbescheid (ein nicht sehr motivierender Begriff!) mit der Auflage, an einer sogenannten Ausgleichsmaßnahme teilzunehmen, um die Gleichwertigkeit zu erreichen. Das bedeutet: Die ausländischen Pflegkräfte müssen entweder einen Anpassungslehrgang absolvieren oder eine Kenntnisprüfung ablegen.
Anpassungslehrgang und Kenntnisprüfung auch oft verzögert
In den Anpassungslehrgang und die Kenntnisprüfung sind immer die Pflegeschulen und Krankenhäuser involviert. „Auch hier kann es aufgrund von Personalengpässen zur Verzögerung kommen“, sagt Robert Mittelstädt. Oft fehlen Lehrpersonal (Pflegepädagogen, Praxisanleiter etc.) und Prüfungskapazitäten, sodass die Kenntnisprüfung nicht abgenommen und der Anpassungslehrgang nicht abgeschlossen werden kann.
Aus all diesen Gründen zieht sich die Anerkennung der in der Heimat erworbenen Berufsabschlüsse oft in die Länge. Das ist für ausländische Pflegefachkräfte frustrierend. Denn egal, ob sie von einer Personalagentur in ihrer Heimat gezielt angeworben wurden oder schon länger in Deutschland leben und arbeiten: Bis zur offiziellen Anerkennung können sie höchstens als Pflegehelferinnen oder Pflegeassistenten beschäftigt werden. So müssen sie als ebenfalls gut ausgebildete Fachkräfte oft monatelang mit einem deutlich geringeren Gehalt leben als ihre Kollegen, die ihr Examen in Deutschland gemacht haben.
Kritisch, wenn sich die Anerkennung über zwei Jahre hinzieht
Hinzu kommt bei manchen die Angst, Deutschland wieder verlassen zu müssen. „Denn Anerkennungssuchende, die zum Beispiel einen Aufenthaltstitel nach Paragraphen 16d Aufenthaltsgesetz haben, haben nur 18 und nach Verlängerung bis zu 24 Monate Zeit, das Verfahren abzuschließen. „Dazu hatte ich kürzlich gerade wieder einen Fall. Da musste die Fachkraft aus dem Kosovo leider wieder abreisen, weil nach 24 Monaten der Aufenthaltstitel nicht mehr verlängert wurde. Auf keinen Fall sollte man das Verfahren dahindümpeln lassen“, sagt Anerkennungsexperte Robert Mittelstädt.
Allein ist der Behördendschungel schwer zu durchqueren, die internationalen Fachkräfte sind ohne Beratung und Begleitung oftmals hilflos. Denn es gibt nicht die eine stringente Anerkennungspraxis in Deutschland: Das fängt damit an, dass die zuständigen Anerkennungsstellen je nach Bundesland Landesbehörden wie Ministerien sein können, Senatsverwaltungen, Bezirksregierungen oder Gesundheitsämter. Sie alle entscheiden zwar aufgrund des bundesweit gültigen Pflegeberufegesetzes, allerdings gefärbt von ihrer jeweils eigenen Verwaltungspraxis: Wenn die Ausbildung im Ausland ähnliche Fächer- und Stundenanzahl wie die deutsche Ausbildung aufweist, sollte einer Anerkennung nichts im Wege stehen – aber was heißt „ähnlich“? Da interpretieren die Verwaltungen dann durchaus nicht immer einheitlich.
Um trotz dieser vielen Widrigkeiten zügig ans Ziel zu kommen, rät Robert Mittelstädt ausländischen Pflegekräften:
Tipp 1: Unterlagen vollständig, übersetzt und beglaubigt vorlegen
Verschaffen Sie sich einen Überblick, welche Unterlagen genau Sie brauchen – am besten, gleich nachdem Sie den Entschluss gefasst haben, in Deutschland als Pflegefachkraft zu arbeiten. So vermeiden Sie, dass wichtige Dokumente nur allmählich reinkleckern. Das ist für die schnelle Bearbeitung wichtig. Standardmäßig sollte sie in einem Zeitraum von vier Monaten passieren. „Doch diese Frist startet wirklich erst, wenn sämtliche Unterlagen vollständig und in korrekter Form vorliegen“, sagt Robert Mittelstädt. Denken sei in jedem Fall bei allen Dokumenten auch an die Übersetzung und Beglaubigung.
Tipp 2: Bei Problemen Arbeitgeber und Bildungsträger einbeziehen
„Häufig ist der Prozess in den Behörden intransparent und die Antragsstellerinnen und Antragsteller wissen nicht, wie lange es noch dauern wird, weil Anfragen länger unbeantwortet bleiben“, warnt Anerkennungsexperte Mittelstädt. In solch einem Fall ist es ratsam, den Arbeitgeber einzuschalten, sich an die Integrationsbeauftragten des Unternehmens zu wenden und vielleicht auch den Bildungsträger zu informieren.
Aber nicht nur bei Schwierigkeiten, empfiehlt Mittelstädt, den Arbeitgeber mit einzubeziehen. Auch wenn die Antwort von der Behörde kommt, sei es sinnvoll, sich gemeinsam um die Anerkennungsmaßnahme und einen passenden Bildungsträger zu kümmern.
„Wir als Lingoda versuchen zum Beispiel eine geschlossene Bildungskette zu erzeugen von der Abreise und Sprachkursen im Heimatland über geförderte Sprach- und Vorbereitungskurse in Deutschland bis zur Anerkennung“, erläutert er. Einen kompetenten Bildungsträger an seiner Seite zu haben, sei der sicherste Weg, um an eine schnelle Anerkennung zu kommen.
Tipp 3: Dutzende Experten für Anerkennung auf lokaler Ebene
In allen 16 Bundesländern gibt es Anerkennungs- und Qualifizierungsberatungsstellen des Netzwerks „Integration durch Qualifizierung IQ“ (am Ende des pdf-Dokuments der IQ zu finden), in großen Bundesländern oft über 20. Die Beratung ist kostenfrei.
Den Arbeitgebern rät Robert Mittelstädt:
Tipp 1: Integrationsmanagement etablieren
„Den Gesundheitseinrichtungen empfehlen wir, eine verantwortliche Person im Unternehmen als Integrationsmanagerin oder -manager zu bestimmen, damit die behördlichen Erfordernisse gut begleitet werden und die Pflegekraft mit ihren Anliegen eine Ansprechperson im Unternehmen hat“, so Mittelstädt.
Tipp 2: Kontakt zur Bundesagentur für Arbeit aufnehmen
„Die Kosten der Qualifizierungsmaßnahmen werden in vielen Fällen von der Bundesagentur für Arbeit übernommen“, sagt der Anerkennungsexperte. Dazu gehören die Kosten für einen integrierten fachlichen Vorbereitungskurs mit Sprachanteilen und Erwerb des B2-Sprachzertifikats.
Um die Förderung über die Bildungsgutscheine der Bundesagentur in Anspruch nehmen zu können, sind die ausländischen Pflegekräfte auf die Unterstützung ihrer Arbeitgeber angewiesen. „Mit den richtigen Partnern lässt sich der Anerkennungsprozess erfolgreich gestalten“, sagt Robert Mittelstädt. „Viele Probleme und auch erhebliche Kosten werden so vermieden.“
Tipp 3: Den richtigen Bildungsträger wählen
Die Prozesse der Behörden sind oft intransparent, Ansprechpartner unklar, Fristen werden ausgereizt. Mittelstädt rät deshalb: „Die Verantwortlichen in den Gesundheitseinrichtungen setzen sich am besten frühzeitig für die internationalen Pflegekräfte ein und forcieren den Austausch mit relevanten Akteuren auf regionaler Ebene.“ Hilfreiche Netzwerk-Angebote finden sich beim Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung IQ“ (siehe auch oben Tipp 3). Die IQ-Berater helfen auch, das Anerkennungsverfahren vorzubereiten und zu starten. Die Anerkennungsberatung ist kostenfrei, sowohl für Pflegekräfte als auch Arbeitgeber.
Hilfreiche Infos in elf Sprachen gibt auch das Informationsportal der Bundesregierung zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen
Auch die Bundesagentur für Arbeit stellt wichtige Informationen bereit.
Über Robert Mittelstädt
Robert Mittelstädt ist Anerkennungsexperte für Pflegeberufe beim Bildungsträger Lingoda. Bundesweit begleitet Lingoda Tausende Fachkräfte auf dem Weg zur Berufsanerkennung begleitet. Ende 2021 hat er das Netzwerk „Match“ mitinitiiert, um die Anerkennung und Integration internationaler Pflegefachkräfte voranzutreiben. Match ist eine Netzwerkplattform von zurzeit rund 175 Gesundheitseinrichtungen, Personalagenturen, Behörden, Bildungsträgern und anderen Institutionen. Match bietet bundesweit Informations- und Vernetzungsformate mit eigenen Veranstaltungen an – online und in Präsenz.
Auf was Arbeitergeber bei der Anwerbung internationaler Pflegefachkräfte achten sollten, erläutert er gemeinsam mit seinem Kollegen Duniel Cardenas-Rodriguez in einem Beitrag auf der Website von Match.
Hier ein Interview mit Duniel Cardenas-Rodriguez über ukrainische Pflegekräfte, das auf pflgen-online erschienen ist:
Die 11 häufigsten Herkunftsländer
Die meisten Pflegefachkräfte werden zurzeit aus Serbien, Bosnien, Albanien, Kosovo, Mazedonien und von den Philippinen angeworben, aber neuerdings auch aus Brasilien, Mexiko, Indien, Tunesien und Marokko. Alle haben einen 7 bis 12 Monate dauernden Anerkennungsprozess vor sich, denn die Berufsabschlüsse, die sie in der Heimat erworben haben, müssen den gleichen Standard wie die deutschen Berufsabschlüsse haben und werden in Deutschland meistens nur nach gesetzlich vorgegebenen Anpassungsmaßnahmen anerkannt. Die maximale Aufenthaltsdauer in Deutschland bis zur Anerkennung beträgt derzeit 24 Monate.
Autorin: Dagmar Trüpschuch/kig