Impfmüdigkeit scheint ein weibliches Phänomen zu sein: Laut einer Online-Befragung des Robert-Koch-Instituts (RKI) lassen sich 46,5 Prozent der Männer gegen Grippe impfen, aber nur 37,4 Prozent der Frauen. An der Umfrage im Herbst 2017 haben sich insgesamt 5.822 Mitarbeiter aus 54 Kliniken beteiligt. „Die Wahrscheinlichkeit, geimpft zu sein, steigt mit dem Alter, dem Vorhandensein einer chronischen Grunderkrankung und männlichem Geschlecht“, heißt es in der Studie. Co-Autorin Ronja Wenchel von der Abteilung Kommunikation und Impfakzeptanz am RKI ist überrascht von dem Befund. Eine Erklärung könne sein, dass junge Frauen sich zur Zeit der Umfrage in Elternzeit befanden oder schwanger waren. Aber das allein sei noch keine ausreichende Erklärung, es müsste weiter dazu geforscht werden.
Skeptische Pflegekräfte
Als häufigster Grund für die Impfung nannten alle Befragte den Selbstschutz. Dabei sei der Patientenschutz „ein gleichwertiger Grund für die Impfempfehlung von medizinischem Personal“, betonen die Studienautoren, „das wird jedoch nicht so wahrgenommen“. Während die Ärzte ihren Impfverzicht vor allem organisatorisch begründeten, haperte es bei den Pflegekräften beim Vertrauen in die Sicherheit und Effektivität der Impfung. Die Studienautoren fordern deshalb eine „Steigerung des Vertrauens in ihre Sicherheit und Effektivität“.
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Verpflichtende Grippeimpfung? Experten sind skeptisch
„Grundsätzlich ist es aber eher so, dass, wer sich viel über Impfungen im Internet informiert, dort zu widersprüchlichen Informationen gelangt und sich deshalb anschließend seltener impfen lässt. Es ist ein komplexes, emotional besetztes Thema. Die Grippeschutzimpfung hat hier einen schweren Stand, denn auch die generelle Impfskepsis ist in den letzten Jahren gewachsen“, sagt Wenchel. Von einer verpflichtenden Grippeschutzimpfung für Klinikpersonal halten sie und ihre Kollegen trotzdem nichts: „Dann lassen die Mitarbeiter dafür andere wichtige Impfungen aus. Das haben Studien gezeigt. Man kann nur alles verpflichtend machen oder gar nichts.“
Aber was kann man tun, um gegen die Impfmüdigkeit des Klinik- und Heimpersonals anzugehen? Wenchel vom RKI nennt fünf Punkte:
Grund 1: Keine Grippe durch Impfung
Die Behauptung, die Impfung selbst löse schon eine Grippe aus, ist schlicht falsch. Es handelt sich bei der Influenzaimpfung um einen Totimpfstoff. Deshalb kann die Impfung selbst keine Grippeerkrankung auslösen und Impfviren können auch nicht an Dritte weitergegeben werden.
Grund 2: Grippe kann lebensbedrohlich sein
Die echte Grippe (Influenza) ist eine schwere, gefährliche Krankheit und nicht zu vergleichen mit einem harmlosen grippalen Infekt. Viele unterschätzen das. Während bis zu 50 Erreger für Atemwegsinfektionen in Frage kommen, verursachen nur Influenzaviren die echte Grippe. In der Saison 2019/20 wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) 188.073 labordiagnostisch bestätigte Fälle gemeldet sowie 541 Todesfälle mit Influenzavirusinfektion (https://influenza.rki.de/Wochenberichte/2019_2020/2020-32.pdf).
Mit Blick auf das Vorjahr war die jüngste Grippesaison damit eher schwach: 2018/19 wurden dem RKI 182.000 labordiagnostisch bestätigte Fälle sowie 954 Todesfälle gemeldet. Als heftig galt die Grippesaison 2017/18 mit 1.674 bestätigten Todesfällen.
Grund 3: Pflegekräfte zeigen Verantwortung
Das Verantwortungsbewusstsein gegenüber Bewohnern und Patienten muss gestärkt werden. Studien belegen, dass ein bestmöglicher Schutz erreicht wird, wenn sowohl die zu behandelnden Personen als auch das Personal durchgängig gegen Grippe geimpft sind. Durch die Impfung können Ausbrüche und nosokomiale Infektionen in Alten- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern wirkungsvoll verhindert beziehungsweise eingedämmt werden.
Grund 4: Es geht auch in der Gruppe
Vielfach resultiert die Nicht-Impfung schlicht aus Vergesslich- und Nachlässigkeit. Ideal wären deshalb kollektive Impfungen im Betrieb. Da die Ständige Impfkommission am RKI (Stiko) die Grippeimpfung für medizinisches und pflegerisches Personal empfiehlt, entstehen den Mitarbeitern keine Kosten. Die Krankenkasse bezahlt die Impfung.
Grund 5: Zusätzliche Belastung durch Covid-19-Pandemie
Die Erinnerung an die schwere Grippewelle 2017/18 und die zusätzliche Belastung durch die Covid-19-Pandemie könnten dazu bewegen, sich wenigstens dieses Jahr rechtzeitig impfen zu lassen. Seit 2018 empfiehlt die Stiko die Impfung zudem mit einem Vierfachimpfstoff. Dieser verfügt zusätzlich über Antigene der im bislang verwendeten Dreifachimpfstoff nicht enthaltenen Influenza B-Viruslinie und bietet in Saisons, in denen Influenzaviren dieser B-Linie zirkulieren (das war 2017/18 der Fall), besseren Schutz vor einer Grippeerkrankung. Noch vor zwei Jahren bekamen nur Privatversicherte den Vierfachimpfstoff. Seit 2018 erhalten ihn auch Kassenpatienten.
Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung lässt sich außerdem eine kostenlose Infobroschüre herunterladen oder bestellen.
Autorin: Birgitta vom Lehn
Info: Neue "Fall"-Definition erhöht Zahl der Grippekranken
Seit Januar 2019 hat das RKI die Definition im Umgang mit Influenzameldungen novelliert. Seitdem braucht nur noch ein einziges klinisches Kriterium wie Fieber, Muskel-, Glieder-, Rücken- oder Kopfschmerzen und Husten erfüllt zu sein, um dem klinischen Bild eines Influenzafalls zu entsprechen. Zuvor musste zusätzlich zu der typischen Symptomatik und der labordiagnostischen Bestätigung noch der direkte Kontakt zu einem laborbestätigten Fall gegeben sein. Weil dies durch die Gesundheitsämter nicht immer vollständig abgeklärt werden konnte, wurde die Definition verändert. Dadurch würden seit Januar 2019 „mehr Fälle in der Referenzdefintion berücksichtigt“, zitiert die Deutsche Apotheker-Zeitung (DAZ) eine Sprecherin des RKI https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2019/10/04-10-2019/mild-oder-schlimm-wie-war-die-letzte-grippesaison. In der Berichterstattung der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) ändere sich dadurch nichts, aber in den wöchentlichen Statistiken im Epidemiologischen Bulletin des RKI schon, weil dort die Fallzahlen gemäß Referenzdefinition aufgeführt seien und diese zuvor niedriger gewesen seien als in den Wochenberichten der AGI.
bvl