In einer Berliner Notaufnahme hat ein Krankenpfleger voriges Jahr einen Schlag ins Gesicht kassiert, als er einen Corona-Patienten aufhielt, der gerade Richtung Intensivstation rennen wollte. Er wird sich nun fragen, warum die Pflegefachkräfte auf der benachbarten Intensivstation einen Pflegebonus erhalten haben, mit dem sie locker einen vierwöchigen Asien-Trip finanzieren können – und warum er keinen einzigen Cent bekommen hat.
Wie fast alle seine Kolleginnen und Kollegen hat wohl auch der couragierte Berliner Krankenpfleger die Petition der Aktion Notaufnahme retten unterschrieben, in der es heißt: „Pflegende in deutschen Notaufnahmen erhalten für ihre Tätigkeit keinen Pflegebonus, da sie nicht zu den bettenführenden Stationen eines Krankenhauses zählen. Wir empfinden dies als eine absolute Respektlosigkeit gegenüber unserer Arbeit und unserer Berufsgruppe.“
Kriterien für den Pflegebonus klar, aber ungerecht
Auch Pflegefachkräfte der Anästhesie und der Operationspflege fühlen sich missachtet, ebenso in der Endoskopie (Bronchoskopie!) und überhaupt alle Pflegekräfte in Krankenhäusern, die nicht zu 837 bonusberechtigten Kliniken gehören. Leer ausgegangen sind auch alle Pflegekräfte ohne dreijährige Ausbildung.
Doch warum diese Ungleichbehandlung? Auf die Frage von pflegen-online antwortet das Bundesgesundheitsministerium: „Aufgrund der Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Mittel war es notwendig, den Kreis der Prämienberechtigten in Krankenhäusern anhand klar definierter Kriterien zu begrenzen.“ Es folgt eine Erklärung für das Kriterium „Pflegefachkraft“ (Möglichkeit, sie etwa gegenüber Pflegehelfern eindeutig als Mitarbeiter mit pflegerischer Tätigkeit zu identifizieren) und für das Kriterium „Krankenhaus mit infizierten Patientinnen und Patienten, die länger als 48 Stunden beatmet werden mussten“ (besonders belastete Krankenhäuser). Auf das Kriterium „bettenführende Stationen, nicht Funktionsbereiche“ geht das Bundesgesundheitsministerium nicht ein.
Kriterien sind grundsätzlich eine angenehme Sache, weil sie Klarheit schaffen, zu strukturieren helfen und Entscheidungen erleichtern. Was aber, wenn die Entscheidungen am Ende nur denjenigen klar scheinen, die sie getroffen haben, und nicht jenen, die sie betreffen?
DKG warnte früh vor „schädlichen Polarisierungen“
Sicherlich, bei Fragen der Verteilung fühlen sich immer einige Betroffene ungerecht behandelt, absolute Gerechtigkeit lässt sich kaum herstellen. Aber in diesem Fall waren der Aufschrei und die Flut der Briefe an Karl Lauterbach (SPD) so groß, dass dem Bundesgesundheitsminister hätten Zweifel kommen können. Zumal er schon bei der Präsentation des Eckpunktepapiers zur Bonuszahlung Anfang 2022 gewarnt wurde – sowohl vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), als auch von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
Weniger Bonus ist ok, aber gar kein Pflegebonus?
An früheren Bonuszahlungen hätte sich bereits gezeigt, dass die Verteilung als ungerecht empfunden werde und zu „schädlichen Polarisierungen“ führe, so der DBfK im Februar 2022. Die DKG monierte die Unterscheidung zwischen Normalstation und Intensivstation und empfahl ihren Mitgliedern als Ausweg, mit den Mitarbeitervertretungen und Betriebsräten einheitliche Prämienregelungen in den Krankenhäusern zu vereinbaren.
Aber so weit wie die DKG hätte das Bundesgesundheitsministerium noch nicht einmal gehen müssen. Die meisten von uns sind es gewohnt, nicht immer absolut gleich behandelt zu werden. Mit Unterschieden bei den Bonuszahlungen hätten sich die meisten Pflegekräfte sicherlich abgefunden. Warum auch sollen Intensivfachkräfte, die in schweißtreibender Schutzausrüstung mit komplizierten Beatmungsmaschinen hantieren und Patienten in Bauchlage positionieren, nicht einen höheren Bonus ausgezahlt bekommen? Nur: Dass andere Pflegekräfte, die ebenfalls Corona-Patienten pflegen und betreuen, leer ausgehen, bleibt komplett unverständlich.
Bonus für Intensivkräfte viel höher als vom BMG geschätzt
Der Verweis des Ministeriums auf begrenzte Mittel macht es nicht besser, eher schlimmer. Zunächst ist das Bundesgesundheitsministerium nämlich davon ausgegangen, dass Intensivpflegekräfte einen Bonus von bis zu 2.500 Euro erhalten und Pflegekräfte auf Normalstation einen Bonus von rund 1.700 Euro. Doch eine Anfrage von Öffentlicher Dienst News hat jetzt zutage befördert, dass es rund 3.300 Euro für 20.364 Intensivfachkräfte sind und 2.200 Euro für 196.334 Pflegekräfte auf Normalstation (berechnet nach Vollzeitstellen). Da hat sich das Ministerium in seiner Vorab-Schätzung um 114,6 Millionen Euro vertan – sprich, um fast 23 Prozent der gesamten 500 Millionen Euro, die für die Bonuszahlungen im Krankenhaus vorgesehen waren.
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Hätten nicht mindestens 114,5 Millionen Euro umverteilt werden können?
Und hätte man die prognostizierten Summen nur um jeweils 200 Euro nach unten gedrückt (welche Intensivfachkraft hätte sich beschwert? Auch 2.300 Euro steuerfrei ist eine Extrasumme, die sich im Portemonnaie der meisten Lohnabhängigen deutlich spürbar macht): Es wären dann sogar knapp 158 Millionen Euro übrig geblieben. Mit der Summe hätte sich doch etwas mehr Ausgleich schaffen und Betriebsfrieden retten lassen. Oder vielleicht doch nicht? Wegen der Kriterien?
Autorin: Kirsten Gaede