Auch wenn das absolute Besuchsverbot erst mal vorbei ist: Die Unsicherheit beim Spagat zwischen Infektionsrisiko und dem Wiedersehen von Partnern, Kinder oder Enkeln bleibt. Und die Kette der Beschwerden über die aktuellen Regelungen reißt nicht ab – auf beiden Seiten.
„Trotz Lockerungen der Besuchsverbote erleben viele Angehörige keine Erleichterung“, sagt der Vorsitzende des BIVA-Pflegeschutzbundes, Manfred Stegger. „Umgekehrt beschweren sich die Einrichtungen über Angehörige, die die geltenden Sicherheitsregelungen in den Heimen missachten.“ Viele Konflikte entstünden, weil Bewohner und Angehörige nicht ausreichend informiert und von den Regelungen überrascht würden.
Manche Einrichtungen allerdings schafften den Spagat. Der BIVA-Vorsitzende nennt als positives Beispiel die Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach, ihr gelinge eine gute Mischung aus professioneller Konsequenz, Einfühlungsvermögen, Volksnähe und Einfallsreichtum. Doch was genau macht die Sozialholding? Wir erkundigten uns bei ihrem Geschäftsführer Helmut Wallrafen.
Baustein 1: Der corona-sichere Besuchs-Container
Noch während im Frühjahr Besuche grundsätzlich untersagt waren, schuf die Sozial-Holding eine „rechtlich zulässige und absolut sichere Möglichkeit zur Begegnung zwischen Altenheimbewohnern und deren Familienmitgliedern und Freunden: Besuchs-Container unter freiem Himmel, offen an sieben Tagen die Woche für 14 Begegnungen am Tag. Mit separaten Eingängen für Besucher und Bewohner und zwei durch eine Plexiglasscheibe getrennten Räumen, in der sich Menschen auf wenige Zentimeter infektionssicher nahekommen können.
Um dem Container seine Nüchternheit zu nehmen, wurde er außen mit einem Transparent geschmückt, das mit aufgedruckten Sesseln und Pflanzen Wohnlichkeit suggeriert. Und der Container heißt nicht „Besuchs-Container“: Er heißt „Vertellbud“, „Erzählbude“ – Gladbacher Platt, da fühlen sich die alten Leute schon sprachlich zu Hause. Rührende Szenen haben sich da schon abgespielt. Eine Frau brachte Eisbecher mit und erlebte mit ihrer alten Mutter für einen Moment Eisdielen-Atmosphäre. Nach jedem Besuch werden die Flächen in der „Vertellbud“ desinfiziert.
Sie möchten Helmut Wallrafen live erleben? Am 16. Juli (Donnerstag) um 22.15 Uhr ist er im ZDF-Talkmagazin im Gespräch mit Dunja Hayali zu sehen.
Mit Container gegen eventuell zweite Corona-Welle gewappnet
Auch wenn Besuche auch in den Heimen selbst jetzt wieder zulässig sind: Helmut Wallrafen, Geschäftsführer der Sozial-Holding empfiehlt sie weiterhin, weil man sich die aufwendigen Sicherheits-Prozeduren am Anfang und Ende des Besuchs sparen kann. Sollte im Herbst eine zweite Corona-Welle auftreten, könnte diese Behelfslösung wieder die Rettung sein. „Angehörige sind wichtig. Keinen Besuch zu bekommen, ist Schmerz“, sagt Holding-Chef Wallrafen. „Aber wir wollen, dass es unseren Bewohnerinnen und Bewohnern emotional gut geht.“
Baustein 2: Besuchsbegleiter zur Entlastung des Personals
Um das Infektionsrisiko zu minimieren, müssen Besucher mit den Hygiene- und Verhaltensvorschriften vertraut gemacht werden. Und es muss jemanden geben, der sie sicher zu den Besuchsbereichen (oder in die „Vertellbud“) begleitet. „Diese Arbeit können meine Leute ja nicht obendrauf machen. Die sind ohnehin schon bis zum Anschlag gefordert“, sagt Helmut Wallrafen. „Wenn ich meine Mitarbeiter pflege, dann pflegen die auch die Alten gut.“
500 Leute haben sich als Besuchsbegleiter beworben
Für die Zeit der Corona-Pandemie suchte Wallrafen deshalb per Ausschreibung „Besuchsbegleiter*innen“ zur Entlastung des eigenen Personals. Binnen zwei Tagen gingen für die 30 Einzelstellen (14,5 Vollzeitkräfte) 500 Bewerbungen ein: von Arbeitnehmern in Corona-Kurzarbeit, aus Dienstleistungs- und auch aus Gesundheitsberufen. „500 haben sich da beworben!“, betont Wallrafen. „Das machte aber auch traurig, weil: So viele Bewerbungen hätte ich gerne auf eine freie Pflegefachkraftstelle.“ Immerhin: Positiver Nebeneffekt sei, das Leute Einblick ins Unternehmen bekämen. „Eine junge Frau sagte: ‚Ich finde den Pflegeberuf toll. Habt ihr Stellen?‘“ Finanziert werden die Begleiter aus dem Corona-Rettungsschirm. Aber den organisatorischen Mehraufwand muss eine Einrichtung bereit sein, selbst zu leisten.
Baustein 3: Gezielte Corona-Tests – auf eigene Kosten, dafür schnell
Die Sozial-Holding testet nicht jede Woche alle Mitarbeiter und Bewohner. Aber sie hat ein klares Konzept. Bei Verdacht wird sofort Quarantäne verordnet. Um 14 Tage Isolation für die alten Menschen zu vermeiden (und einen ebenso langen Ausfall von Mitarbeitern), wird nach vier Tagen – weil es dann wegen der Inkubationszeit erst sinnvoll ist – ein Abstrich gemacht. Es existiert ein Vertrag mit einem Labor, das spätestens nach 24 Stunden das Resultat liefert. Die Test-Kosten trägt die Holding selbst. „Was interessiert mich das, ob das von der Kasse bezahlt wird oder nicht“, sagt Wallrafen. „Da zahl‘ ich mal lieber die 60 Euro für den Abstrich, statt jemanden 14 Tage einzusperren. Und wenn beim Mitarbeiter der Test negativ ist, kommt er am nächsten Tag wieder zum Dienst. Das ist ja auch betriebswirtschaftlich vernünftig.“
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Autor: Adalbert Zehnder